Inhaltliches Konzept
Grobkonzept der Dauerausstellung „Heimat ver*rückt“ Schwerte
‚Heimat‘ kann vieles sein und vieles bedeuten. Alle Menschen verstehen darunter etwas anderes, knüpfen den Heimatbegriff an etwas ganz Unterschiedliches: Einen Ort, zum Beispiel der Kindheit, an eine Landschaft, ein Zuhause, an eine vertraute Umgebung, an Familie und Vereine, an Schulen oder Gotteshäuser, an Sprache oder Musik, an Stadtgestalt oder Naturräume, an Essen oder Gebräuche, an Feste und Rituale und so weiter. ‚Heimat‘ kann auch der öffentliche Raum bedeuten, in dem Bürger und Bürgerinnen das Gemeinwesen mitgestalten. Es gibt auch die Gefahr der Idyllisierung der ‚Heimat‘, genauso wie die der Ausgrenzung des Fremden. Im Spannungsfeld von Gesellschaft, Staat und Politik kann der Heimatbegriff funktionalisiert oder gar missbraucht werden. Staatliche Setzungen von ‚Heimat‘ haben in unserer Geschichte oftmals eine unheilvolle Rolle gespielt. ‚Heimat‘ hat viel mit Erinnerungen und mit dem individuellen und kollektiven Gedächtnis zu tun und mit Vorstellungen von ‚Identität‘. Diese Berührungspunkte auszuloten und im Sinne von Toleranz, Pluralität und Humanität mit Objekten zu zeigen und einen demokratischen Diskurs anzuregen, ist ein Hauptanliegen der Ausstellung.
Drei Abteilungen
Die Ausstellung soll drei Abteilungen haben, in denen mit Hilfe antithetischer Begriffspaare die Vielschichtigkeit und Ambivalenz des Heimatbegriffs hervortritt. Es soll nirgends eine Festlegung auf eine Definition geben, vielmehr sollen sich Subjektivität, Vielfalt und Mehrdeutigkeit des Begriffs „Heimat“ in den unterschiedlichen Einzelthemen durch die Ausstellung ziehen. Ziel ist es, dass Gäste sich mit ihrem bewussten und vorbewussten Verständnis von Heimat auseinandersetzen und neue Impulse und Gedanken zu diesem Thema aufnehmen. Es ist dabei angestrebt, geeignete künstlerische Impulse zu integrieren, sei es durch Objekte der bildenden Kunst (zum Beispiel der in Schwerte beheimateten Rosemarie Trockel), durch Zitate aus der Literatur oder durch Musik. Gerade Sprache und Musik sind starke Ausdrucksformen der kulturellen Zugehörigkeit. Ziel ist es, Schwerte exemplarisch für unsere Stadtgesellschaften in der Region zu entwickeln, so dass die Dauerausstellung auch für auswärtige Gäste verständlich und vergnüglich, attraktiv und gewinnbringend i
1. Heimatraum
Im allgemeinen Sprachverständnis wird „Heimat“ in erster Linie als ein Ort oder Raum verstanden: ein Haus, eine Stadt, eine Region, ein Land, in dem wir „zuhause“ sind. Wir beginnen also in der Ausstellung mit dem naheliegendsten Merkmal des Begriffes: der Raum und ich. Wir greifen damit die universelle menschliche Sehnsucht nach einem Ort auf, an dem wir heimisch und sesshaft sind und der uns vertraut ist und an dem wir elementare Lebensbedürfnisse befriedigen können. Ein Raum wird erst zur Heimat, indem wir ihn durch kulturelle Aneignung und Gestaltung in vielfältiger Art prägen (Wirtschaft, Städtebau, Kultur usw.), ihm also ein besonderes und charakteristisches Gesicht geben, das ihn von anderen Orten unterscheidet und ihn so zu „unserer Heimat“ macht. Dieser Abteilung werden die Themen „Lebensraum Schwerte und Umgebung“ sowie „Migration“ zugeordnet. Sie soll Objekte, Quellen und Darstellungen umfassen, die den Raum, seine Besiedlung sowie das Kommen und Gehen von Menschen erschließen. Eine Vollständigkeit ist nicht angestrebt.
2. Heimatbindung
In dieser Abteilung stehen die sozialen Bindungen im Vordergrund, die Menschen in dem von ihnen besiedelten und kulturell überformten Raum Schwerte und Umgebung gezielt etabliert haben. Hier geht es um das Thema: die anderen und ich. Bindungen sind das Ergebnis eines komplexen Prozesses, der soziale, psychologische und rechtliche Komponenten vereint. Bindungen äußern sich in einem bewussten Zusammenschluss nach innen (Paare, Familie, Gruppe). Die dadurch entstandene Zugehörigkeit wird öffentlich demonstriert und kommt in vielfältigen kulturellen Erscheinungsformen über Rituale, Symbole oder Rechtsakte zum Ausdruck. Bindungen haben also eine kulturelle Ausprägung; diesen wollen wir in Schwerte nachgehen. Bindungen können zu einer Abgrenzung nach außen führen und andere Menschen mehr oder weniger ausschließen. Schwerte hat bis heute ein dichtes Netz an charakteristischen sozialen Bindungen entwickelt (Schichte und Nachbarschaften), hat sich dabei jedoch eine Offenheit und Vorbehaltlosigkeit gegenüber Fremden erhalten.
Dieser Abteilung werden alle Objekte zu den Themenbereichen „Gemeinschaft/Vereine/Kirchen“, „Zugehörigkeit/Fremdheit“ und „Kulturelle Ausdrucksformen von Gruppen“ zugeordnet. Wir können dabei auf eine reiche Überlieferung zurückgreifen, brauchen jedoch neue Exponate von Zuwanderern.
3. Heimatliebe
Dies ist die Abteilung, in der die politische Instrumentalisierung der Heimatliebe zum Thema gemacht wird. Verkürzt gesagt geht es um das Thema: das politische System und ich. Die Pervertierung des Heimatbegriffes besteht darin, dass die positiven Bindungen der Schwerter Bürgerinnen und Bürger zu ihrer Heimat benutzt und missbraucht wurden, um Opfer für einen fragwürdigen Heimatbegriff zu erbringen. Ihre Liebe und ihre Bindung zur Heimat wurden benutzt, um für beide Weltkriege erhebliche menschliche und finanzielle Opfer zu bringen. Die symbolischen Objekte der Heimatliebe sind in der Sammlung des Ruhrtalmuseums reich und vielfältig. Aber die Überhöhung und Ideologisierung von Heimat sowohl im Kaiserreich als auch im Nationalsozialismus muss eine eigene Sequenz sein; hier geht es nicht um den Einsatz der Schwerter Bürgerinnen und Bürger für ihren Staat, sondern um staatliche Strategien, Ziele und Symbole einer gezielten Instrumentalisierung der Heimat. Wohl am deutlichsten wird das am Schicksal von jüdischen Familien in Schwerte, die ihre Heimat genauso liebten wie ihre nichtjüdischen Mitbürger. Die nicht problemlos verlaufende Integration von ‚Heimatvertriebenen‘ in der Nachkriegszeit soll bis in die Gegenwart der Beziehungen zwischen Einheimischen und ‚Fremden‘ verlängert werden.
Fazit
Alles in allem will die neue Dauerausstellung die positiven Gefühle der Schwerter Bürgerinnen und Bürger gegenüber ihrem Gemeinwesen, gegenüber diesem Ort bestärken, um zum gesellschaftlichen Zusammenhalt kritisch beizutragen. Sie möchte aber den Begriff der Heimatliebe so ‚verrücken‘, dass auch das zunächst Unerwartete und Fremde in den Blick kommt und auch Vergangenheiten sichtbar werden, in denen sie in den Dienst einer schlechten Sache gestellt wurde. Und die Ausstellung möchte als komplexe Aufforderung verstanden werden, in zivilgesellschaftlichem Sinne demokratisch, human und tolerant miteinander umzugehen und sich für das Gemeinwesen zu engagieren. „Heimat ist, wo man sich nicht erklären muss“ (Gottfried Herder), aber Heimat als Begriff anschaulich und differenziert zu erklären, ist ein lohnendes Ziel.
Prof.Dr. Ulrich Borsdorf und Dr. Ulrike Gilhaus, 1. August 2019