Grenzerfahrungen
Osama Alnaseef aus Syrien und der Ukraine mit Interview-Partner Hans-Bernd Marks, Leiter des AK Asyl
Trauma und Hoffnung – drei Menschen, drei Schicksale, drei Fluchten
Gesprächsrunde zeugt von Lebensgefahr mit gutem Ende in Schwerte: Hier möchte ich die nächsten 50 Jahre sein
Drei Menschen, drei Schicksale, drei Fluchten, die alle in Schwerte münden. Mit tief bewegenden Berichten haben drei Geflüchtete, die inzwischen eine Heimat in Schwerte gefunden haben, in einer offenen Gesprächsrunde auf Einladung der Bürgerstiftung Schwerter Mitte und des Arbeitskreises Asyl von ihren Erlebnissen berichtet.
Fathya Alnahar aus Syrien im Gespräch mit Martina Horstendahl, Ensemble-Leiterin der Schwerter Mitte
Die Gründe der Flucht waren häusliche Gewalt, Krieg, drohende Gefahren durch politisches Andersdenken und Verfolgung durch Geheimdienste aufgrund politischer Aktivitäten gegen das Regime. So verschieden die Flucht-Gründe waren, so verschieden sind auch die Flucht-Berichte. Sie reichen von Schlägen, über Ausbeutung, gefährlicher Überquerung des Mittelmeeres im Schlauchboot, tagelangen Fußmärschen, Angst, Hunger, bis hin zu Transporten zusammengepfercht in Güter-Waggons und angekündigten Angriffen auf das eigene Leben.
Im Detail sind die Fluchtwege unterschiedlich, im Ergebnis der traumatischen Erfahrungen sind die Fluchten jedoch alle gleich. Sie werden in ihrem unermesslichen Grauen noch lange das Leben der Geflüchteten prägen.
Doch wurde auch Positives von einem „guten Ende“ der erzwungenen Reise erzählt: Alle drei Geflüchteten sind in Schwerte sehr gut aufgenommen worden und werden vom Arbeitskreis Asyl in allen Belangen hilfreich unterstützt. „Wir haben hier viele neue Freunde gewonnen, so dass wir hier wieder glücklich werden können,“ war das einhellige Credo. Wobei aber nicht unerwähnt blieb, dass der Gedanke an die Lieben in den weiterhin gefährlichen Kriegsgebieten wie etwa in Syrien ohne Wasser und Strom schon sehr schmerze.
Kashif Shahazad aus Paksitan mit seinem Freund und „Kümmerer“ Uwe Hellner vom AK Asyl
Alle drei Geflüchteten möchten in Schwerte bleiben. Sie fühlen sich hier wohl und behütet, wie sie den Besucher:innen der Runde versicherten, die sich mit vielen Fragen teilnahmsvoll einbrachten. Fathya Alnahar, die als junge Frau die Flucht aus Syrien gewagt hatte, hat mit ihrem bereits zuvor geflüchteten Mann Mohammad in der Ruhrstadt eine Familie gegründet und wirkt tatkräftig als gewähltes Mitglied im Integrationsrat der Stadt mit. Die zwei kleinen Söhne sind gebürtige Schwerter. „Mein Mann hat einen guten Beruf und ich werde vielleicht noch einmal studieren. Wir sind super dankbar und froh. Hier möchte ich die nächsten 50 Jahre bleiben“, fasst Fathya Alnahar lächelnd zusammen.
Kashif Shahazad, heute 20 Jahre alt, ist bereits als 10jähriger Junge allein aus Pakistan geflohen und stark traumatisiert. Doch auch sein Lebensweg wird nun in bessere Bahnen geleitet: Er wohnt seit Kurzem bei einem Schwerter Paar, dass sich tatkräftig um sein Wohl bemüht. Auch Kashif betont, dass er in den vergangenen fünf Jahren in Schwerte eine Heimat gefunden habe. Sein neues Zuhause wird dieses Gefühl noch verstärken.
Osama Alnaseef, ein junger Zahnmediziner, ist als politisch Verfolgter von Syrien aus in die Ukraine geflohen, wo er mehrere Jahre lebte. Von dort musste er dann nach Deutschland weiterziehen. Bevor er hier als Zahnarzt arbeiten darf, muss er u.a. noch Praxis-Erfahrung sammeln. Schwerter Zahnärzte, die bereit sind, ihn bei der Arbeit zuschauen zu lassen, werden gebeten, sich an den AK Asyl zu wenden. Auch Osama Alnaseef möchte in Schwerte bleiben: „Hier sind alle so freundlich und Schwerte ist ein sehr schöner Ort.“
Gesprächsrunde zu Grenzerfahrungen: Schwerter Geflüchtete berichten über ihre Erlebnisse von Flucht, Not, Ungewissheit und Aufnahme
Flucht vor dem Krieg, das Verlassen der Heimat schweren Herzens, lange Fluchtwege voller Gefahren Und Ungewissheit und letztendlich die Aufnahme in Schwerte, wo viele Geflüchtete eine neue Heimat fanden. Wie ist es den Geflüchteten ergangen? Wie geht es ihnen heute? Davon berichten Schwerter Geflüchtete, teils mit Unterstützung ihrer Paten und Patinnen aus den Schwerter Helfer:innen-Kreisen. Die Veranstaltung gemeinsam mit dem AK Asyl im Rahmen der Ausstellung „Grenzerfahrungen“ gibt auch Raum für gemeinsame Diskussion und Fragen. Dabei werden die Freiheiten respektiert, was erzählt und beantwortet wird. Die Teilnehmer:innen der Gesprächsrunde entscheiden selbst, denn einige Erfahrungen sind auch unaussprechlich. Zu der Gesprächsrunde wird am Dienstag, 12. April, um 19 Uhr in die Zwischen-Mitte am Cava-Platz eingeladen. Der Eintritt ist frei, Spenden für weitere Bürger:innen-Projekte unserer Bürgerstiftung sind stets willkommen.
Aktion auf dem Cava-Platz brachte zahlreiche Besucher:innen ins Gespräch über Flucht, menschenwürdige Aufnahme und Integration
Kunst für eine Präsentation in der Ukraine gelangt durch Flucht vor dem Krieg in unsere Ausstellung in Schwerte
Der Umgang mit Geflüchteten stand im Fokus der Aktionen zur Eröffnung der Ausstellung „Grenzerfahrungen“ auf dem Cava-Platz. Die Veranstaltung wurde von der Bürgerstiftung Schwerter Mitte, dem Arbeitskreis Asyl und mehreren Schwerter Gruppen, die zu dem Thema Geflüchtete, Würde des Menschen und Integration arbeiten, gemeinsam mit Infos und Austausch lebhaft gestaltet. So waren das Bündnis gegen Rechts, Amnesty Schwerte und der Integrationsrat Schwerte dabei. Bei strahlendem Sonnenschein war die Aktion gut besucht. Zahlreiche Besucher:innen kamen an den Info-Ständen ins Gespräch, diskutierten über die Plakat-Ausstellung „Grenzerfahrungen“, betrachteten die präsentierten Kunstwerke Schwerter Künstler-innen und lauschten aufmerksam der orientalischen Musik der Gruppe „Hiva“ (= Hoffnung) um den Schwerter Abbas Mandeh.
Dabei ergab sich noch eine kleine Geschichte am Rande, wie sie das Leben schreibt: Die Künstlerin Evelina Volska ist vor 2 Wochen mit ihrem Mann und den drei Kindern aus der Ukraine nach Schwerte geflüchtet. Sie konnte nur das Wichtigste mitnehme und hatte in der dramatischen Sitation keinen Kopf für ihre Kunst. Als sich ihre Mutter nun ebenfalls auf den Fluchtweg machte, bat sie diese, zwei ihrer Bilder, die sie für eine geplante Ausstellung in der Ukraine gefertigt hatte, mitzubringen. Nach einem Brand im Zug, Umwegen und Verspätungen kam die Mutter nun am Samstag-Morgen mit den Bildern am Schwerter Bahnhof an. Auf unserer Veranstaltung zum Thema Flucht zeigte Evelina Volska ihre kurz zuvor eingetroffenen Bilder, die dann direkt in die Ausstellung zum Thema Flucht aufgenommen wurden. So kam die Kunst, die für eine Präsentation in der Ukraine bestimmt war, durch den verheerenden Krieg in eine Ausstellung nach Schwerte… und wird in einer ungeahnten Umwälzung des Schicksals so doch noch gezeigt – an einem völlig anderen Ort.
Die Ausstellung „Grenzerfahrungen“ ist noch bis zum 20. April in den Fenstern der Räume unserer Bürgerstiftung Schwerter Mitte am Cava-Platz zu sehen.
Text und Fotos: Martina Horstendahl
Video: Esma Sahin
Aktions-Impressionen
Kunst-Impressionen
Hans-Jürgen Schumacher „Vier Gesichter mit Friedenstaube“
Uschi Vielhauer „Auf der Flucht“ (Leihgabe Uta Höller)
Evelina Volska „Animal Soul“ 2021 Lemberg, Ukraine 1.Bear 2.Rooster
Hans-Jürgen Schumacher „Putins Friedenstaube“
Holger Hülsmeyer „Flüchtlingsboot 2022“ Collage von mehr als 50 Figuren von 2010 bis 2022, Diverse Laub- und Nadelhölzer Arbeitsgerät Kettensäge
Ausstellung Grenzerfahrungen: Wie behandelt Europa Geflüchtete?
Möchten wir unsere Gesellschaft als ausgrenzend und autoritär oder weltoffen, demokratisch und human?
In Kooperation mit dem Arbeitskreis Asyl zeigt die Bürgerstiftung Schwerter Mitte die Ausstellung „Grenzerfahrungen“ in den Fenstern der Zwischen-Mitte am Cava-Platz.
„Das Thema hat seit Planung der Ausstellung vor einigen Monaten nun aktuell durch den Ukraine-Krieg und die Aufnahme zahlreicher Geflüchteter in europäische Länder eine ganz neue und vielschichtige Dimension erhalten“, stellt das Organisations-Team fest und verweist darauf, dass neben diesen wichtigen, spontanen Hilfsaktionen auch die zahlreichen Flüchtlinge an anderen Grenzen Europas, die ebenfalls auf Einlass warten, nicht ausgegrenzt werden dürfen.
Die Plakat-Ausstellung wurde von den drei überregionalen Friedens- und Menschenrechts-Organisationen Pro Asyl, der Evangelische Arbeitsgemeinschaft für Kriegsdienstverweigerung und Frieden (EAK) sowie der internationale katholische Friedensbewegung pax christi zusammengestellt. Sie möchten mit ihrem Projekt dazu aufrufen, die zunehmende Militarisierung gegen Asyl-Suchende an den Europäischen Außengrenzen sowie die Verletzung der Menschenrechte von Geflüchteten zu stoppen.
Nach Ansicht der drei Organisationen gehe es bei dieser Frage nicht nur um Flüchtlingsrechte, es gehe darum, wie unsere Gesellschaft aussehen soll: Eine Gesellschaft, die auf Ausgrenzung, Abschottung und autoritäre Strukturen setze – oder die weltoffen, demokratisch und human sei. Die aufrüttelnden Tafeln und Texte sind bis zum 20. April zu sehen.
Die Band „Hiva“ um den Scherter Abbas Mandeh begleitet die Aktion am 26. März musikalisch
Eröffnet wird die Ausstellung am Samstag, 26. März, um 11 Uhr mit einer augenfälligen und berührenden Aktion des AK Asyl und der Schwerter Mitte mit Grenz-Zäunen auf dem Cava-Platz. Unterstützend für Infos und Gespräche sind ebenfalls dabei: das Bündnis gegen Rechts, der Integrationsrat Schwerte und Amnesty Schwerte. Organisatorische Hilfe leistet die Gemeindegruppe Asyl der Christopherus-Gemeinde. Weitere Kooperationspartner:innen sind der Soziadienst katholischer Frauen sowie die Diakonie Schwerte.
Die Eröffnungs-Aktion wird musikalisch begleitet von der Gruppe „Hiva“. Die drei geflüchteten Musiker aus dem Iran und dem Irak leben heute in Hannover, München und Schwerte. Sie haben sich bei überregionalen Treffen kennengelernt und eine Band gegründet. Aus Schwerte wirkt der Maler und Musiker Abbas Mandeh mit. Die bildende Kunst ist mit Werken von Uschi Vielhauer, Holger Hülsmeyer und Hans-Jürgen Schumacher zu den Themen Flucht und Frieden vertreten.